Elaine - Teil V

Parkplatz

"Klaro, bis morgen dann." dachte sie diesmal nur. Das Telefon klingelte weiterhin mit stummem Vorwurf. Als es aufhörte, gab sie ein leises "Sorry, Bob, heute nicht" von sich. Elaine saß auf der Bettkante, die Knie an den Körper gezogen, die Arme davor verschränkt, der Kopf irgendwo dazwischen versteckt. Obwohl sie sonst über alles, wirklich alles mit ihm reden konnte, fehlten ihr heute die Worte. Oder war es doch der Mut? Da ihr keine passende Antwort einfiel, setzten ihre Reflexe ein: Raus hier. Einfach weg.

Erst im Treppenhaus fiel ihr auf, dass ihre Reflexe außerordentlich gründlich waren: In ihrer Jeansjacke fand sie eine zweite Schachtel Zigaretten und ihr Mobiltelefon. Anscheinend waren ihre Reflexe der Meinung, dass sie etwas länger raus müsste. Nur gut, dass sie übers Wochenende das Auto einer Freundin hüten sollte.


Unten angekommen sah sie gerade noch die Sonne glutrot am Horizont untergehen. Horizont war in diesem Fall die Wohnbezirksskyline. Erneut fühlte sie den Drang, hier rauszukommen.

Das Auto ihrer Freundin erwies sich als wendiges kleines Gefährt, dem trotzdem kaum Komfort fehlte. Das Radio suchte sich automatisch einen Sender und spielte, als ob sich die Welt gegen Elaine verschworen hätte, Kuschelmusik.

Sie überlegte kurz, welchen Radiosender sie lieber hören mochte, zündete sich dann aber doch ein Zigarette an und weihte so das saubere Nichtraucherauto ihrer Freundin ein. Sie hatte nur gesagt: "Pass drauf auf, okay?" Was genau unter Aufpassen zu verstehen war, war immer noch Definitionssache.


Irgendwo auf der Straße zwischen irgendwo und nirgendwo fand sie einen Rastplatz. Anstatt wie üblich daran vorbeizufahren, lenkte die das Gefährt der Pause entgegen. Nachdem sie das normale Programm an angeblich gesunder, jedoch spastisch wirkender Verrenkungen absolviert hatte, setzte sie sich wieder hinein, stellte den Sitz in Schlafstellung und sah durch das Glasdach den Sternen zu.

Das Radio spielte weiterhin angenehm Musik. Oder jedenfalls angenehm, wenn man sie zu zweit genießen konnte. Aber immerhin hatte man hier draußen noch Empfang. Vielleicht war an diesen weltweiten Sendern doch was dran?


Die Sterne bewegten sich irgendwie auch nicht so richtig munter, dachte sich Elaine. Vielleicht konnten sie es nicht. Vielleicht waren sie dazu verdammt, auf ewig alleine am Himmel zu stehen und einander anzustrahlen. Die Freiheit der Sterne gab es also gar nicht. Oder aber die Sterne hatten die absolute Freiheit und haben selbst gewählt, dass es so besser sei. Irgendwie erschien ihr Freiheit auch nicht mehr zu sein, als sich die Grenzen selbst zu setzen. Ohne Grenzen geht es ja nicht. Sowieso, dieser Traum der grenzenlosen Freiheit wird doch von niemandem wirklich erreicht, oder? Letztlich flüchten sich doch alle in irgendwelche Grenzen, weil es das Leben überschaubarer macht. Und so ähnlich haben sich vermutlich auch die Sterne die Sache mit der Freiheit überlegt und jetzt sind sie da am Himmel und wirken so ungeheuer einsam.

Was die Sterne wirklich machten oder dachten, war ihr völlig unklar. Klar war nur, was sie jetzt machen würde. Sie hatte immerhin noch eine Entscheidung vor sich. Damit sie sich dieser jedoch stellen konnte, brauchte sie etwas Abstand. Seltsam erholt von diesen wenigen Minuten Dösen, ein Blick auf grün leuchtenden Digitalziffern im Armaturenbrett verriet, dass vier Stunden vergangen waren, steuerte sie das kleine Gefährt von seinem Ruheplatz zurück auf die Straße. Mitten in der Nacht flammte noch einmal das Feuerzeug im Wageninneren auf, dann war sie vom Parkplatz verschwunden.


Geschrieben am: 11.10.2003/09.03.2003 von Kronn
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